Wissenschaft wird auf diese Weise zu einem Machtinstrument und untergräbt ihren eigenen Erkenntnisprozess.
Professor Dr. med. Matthias Schrappe
Professor für Innere Medizin und früherer Vorstandvorsitzender der Universitäts-Klinik Marburg
Die Unterscheidung zwischen Meinungen und wahren sowie unwahren Tatsachenbehauptungen ist – wenn es um die Meinungsfreiheit geht – von elementarer Bedeutung. So kann es davon abhängen, ob eine Tatsache im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht oder nicht, damit ein Äußernder sich bei seiner Äußerung auf den Schutz des Grundgesetzes berufen kann.
Die Unterscheidung zwischen der Behauptung bereits erwiesener Tatsachen und noch klärungsbedürftigen Tatsachen ist noch in einem weiteren Bereich der Meinungsfreiheit fundamental wichtig: nämlich schon bei der Bildung der eigenen Meinung. Ob eine Äußerung vom Bürger als unumstößliche Tatsache wahrgenommen wird oder als eine Tatsache, deren Richtigkeit sich erst noch herausstellen muss, kann unter Umständen erheblichen Einfluss darauf haben, wie er die Äußerung für sich gewichtet und welche Schlüsse er daraus zieht.
»Follow the science!«
Insbesondere während der Corona-Krise und auch in Bezug auf das Thema Klimawandel begründete und begründet der Staat seine Handlungen häufig damit, dass diese den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen würden. So sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) noch im März 2023, dass das Robert-Koch-Institut (RKI) »unabhängig« von politischer Weisung gearbeitet haben soll. Dass diese Aussage weder zu Zeiten als noch Jens Spahn (CDU) Gesundheitsminister war, noch zu Zeiten Karl Lauterbachs gestimmt hat, belegen inzwischen die COVID-19-Krisenstabsprotokolle des RKI (RKI-Protokolle). So kritisierte zum Beispiel der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP), dass stets der Eindruck vermittelt worden sei, »bei den Wortmeldungen des RKI handele es sich um den aktuellen wissenschaftlichen Stand«. Auf eine offizielle Anfrage Kubickis habe das Gesundheitsministerium jedoch offiziell bestätigt, dass zum Beispiel die Risikoeinschätzung zwar auf dem Papier des RKI geschrieben wurde, die Hand aber im Zweifel der Minister geführt habe.
Anlässlich der RKI-Protokolle kann man erahnen, wie groß die Auswirkung von behaupteter Wissenschaft als Machtinstrument sein kann. Denn zahlreiche Bürger bildeten sich eine bestimmte Meinung aufgrund der Aussagen des RKI. Dabei vertrauten sie darauf, dass die Ergebnisse und Aussagen des RKI stets aufgrund von unabhängigen wissenschaftlichen Standards getroffen wurden. Dass dies nicht der Fall war und die Bundesregierung den Bürger insoweit getäuscht hat, wissen wir inzwischen.
Verlässliche Informationen sind unerlässlich für ein demokratisches Staatswesen.
Olaf Scholz (SPD)
Bundeskanzler
Es ist eine beliebte Methode die Meinungsbildung der Bürger mit dem Argument beeinflussen bzw. manipulieren zu wollen, dass es angeblich einen »Konsens in der Wissenschaft« gäbe oder dass »die Wissenschaft« angeblich dies oder das sagt.
Äußerungen in die Richtung, dass die Wissenschaft mit einer Stimme sprechen solle, bezeichnet der eingangs zitierte Prof. Dr. Schrappe als wissenschaftsfeindlich. So seien zum Beispiel in der Corona-Zeit relevante wissenschaftliche Fragestellungen nicht identifiziert worden. Der Verdacht bestünde vielmehr, dass die wissenschaftlich-aktive Begleitung durch Studien und kontinuierlichen Erkenntnisgewinn aktiv unterbunden worden sei (ausgenommen natürlich die virologische Laborperspektive).
Wenn nur die Regierungsmeinung zählt
Wie wir gesehen haben, kann es vorkommen, dass die Regierung dem Bürger mitteilt, dass ihr Handeln etc. ausschließlich auf wissenschaftlichen Erwägungen beruht – gleichgültig ob dies der Wahrheit entspricht oder nicht. Schlecht ist dies, wenn mit wahrheitswidrigen Behauptungen schwerwiegende Grundrechtseingriffe gerechtfertigt werden – so wie bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, die inzwischen das Verwaltungsgericht Osnabrück als verfassungswidrig ansieht. Schlecht ist dies ebenfalls in den Fällen, in denen die Meinungsbildung der Bürger durch Falschinformationen der Bundesregierung beeinflusst wird.
Schlecht ist dies auch in den Fällen, in denen nur die Regierungsmeinung zählen kann. Wie am Ende nur die Regierungsmeinung zählen kann und sämtliche andere Meinungen, welche der Regierungsmeinung wiedersprechen, gelöscht werden können, sei anhand der YouTube-Richtlinien veranschaulicht. Danach sind keine Inhalte erlaubt, die ein ernsthaftes Risiko für körperlichen Schaden bergen, indem medizinische Fehlinformationen verbreitet werden, die im Widerspruch zu den Informationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder lokaler Gesundheitsbehörden zu bestimmten Gesundheitszuständen und Substanzen stehen. Die RKI-Protokolle haben gezeigt, dass angeblich unabhängige Behörden auf politische Weisung gehandelt haben. Wenn also YouTube Inhalte löscht, welche den politischen Vorgaben, zum Beispiel der Regierungsmeinung, nicht entsprechen, dann hat das weder etwas mit Wissenschaftsfreiheit, noch mit Pressefreiheit, noch mit Meinungsfreiheit zu tun. Würden zum Beispiel lokale Gesundheitsbehörden eine bestimmte Impfung als nebenwirkungsfrei bezeichnen, obwohl es die Impfung nicht ist, oder würden lokale Gesundheitsbehörden eine Impfung als harmloser bezeichnen als sie ist, verbietet YouTube entgegenstehende Inhalte.
In eine ähnliche Richtung geht übrigens auch der Digital Services Act – zumindest in Krisenzeiten. Im Falle einer Krise (z. B. bewaffnete Konflikte, terroristische Handlungen, Naturkatastrophen wie Erdbeben und Wirbelstürme oder Pandemien; sogar entstehende Konflikte im Vorfeld von Gefahren können den Krisenfall auslösen) kann nämlich die Europäische Kommission die großen Online-Anbieter zur Zusammenarbeit und zu Abwehrmaßnahmen verpflichten und so die freie Informationsvermittlung durch große Online-Anbieter im Krisenfall beschränken.