Wie der BR24 #Faktenfuchs beim Thema Meinungsfreiheit in die Irre führt!

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Bei der Recherche zu meinem Buch »Meinungsfreiheit in Gefahr! Wie der Staat die Demokratie aushöhlt« ist mir ein Beitrag aus dem Jahr 2021 aufgefallen. In diesem Beitrag fragt sich der BR24 #Faktenfuchs in einem YouTube-Video unter anderem, wie es um die freie Meinungsäußerung in Deutschland steht.

Um in Kategorien von Faktencheckern zu sprechen, müsste dieser Beitrag nach meiner Meinung entweder mit »teilweise falsch« oder zumindest mit »fehlender Kontext« gekennzeichnet werden.

Wer oder was ist der BR24 #Faktenfuchs?

Bei dem BR24 #Faktenfuchs handelt es sich um die »Faktenchecker« des Bayerischen Rundfunks (s. hier zu Faktencheckern allgemein).

Der BR24 #Faktenfuchs ist Mitglied im International Fact-Checking Network (IFCN). Das IFCN stellt einen Kodex für »Faktenchecker« auf. Im Rahmen eines bestimmten Überprüfungsprozesses hat sich der BR24 #Faktenfuchs zur Überparteilichkeit und Fairness, zur Transparenz der Quellen, zur Transparenz der Finanzierung und Organisation, zur Transparenz der Methodik und zur Verpflichtung zu offenen und ehrlichen Korrekturen verpflichtet.

Wie steht es um die freie Meinungsäußerung in Deutschland?

Mit dieser Frage hat sich der BR24 #Faktenfuchs nach eigener Aussage ausführlich beschäftigt, Gesetzestexte und Studien gelesen, mit vielen Experten gesprochen und auch Plattformen wie YouTube und Facebook kontaktiert.

Zitiert wird zudem die Umfrage des Allensbach-Instituts aus dem Jahr 2021, wonach 45 % der Befragten das Gefühl hatten, man könne seine Meinung noch frei sagen. Dies seien schlechte Werte im Vergleich zur Vergangenheit (im Jahr 1971 lag der Prozentsatz bei 83 % und im Jahr 2011 bei 66 %). [Anmerkung: Im Jahr 1990 lag der Wert noch 78 %, am Ende der Merkel-Regierung bei 45 %, der Tiefpunkt war im Jahr 2023 mit 40 %, während im Jahr 2024 der Wert nach der jüngsten Veröffentlichung 47 % beträgt.]

Viele Menschen in Deutschland fürchten soziale Sanktionen auf offene Meinungskundgaben. Man kann dies als Einbildung oder Überempfindlichkeit abtun. Mir erscheint es allerdings wichtig, entsprechende Wahrnehmungen ernst zu nehmen und sich als Gesellschaft zu fragen, wie dem entgegengewirkt werden kann. Denn erneut: Wenn der offene Diskurs gefährdet ist, ist es zugleich unsere Demokratie. Und das können wir nicht ernstlich wollen.


Prof. Dr. Dr. Frauke Rostalski
Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung an der Universität zu Köln und Mitglied des Deutschen Ethikrats

Mit solchen Gefühlen und deren möglichen Ursachen möchte sich der BR24 #Faktenfuchs aber nicht auseinandersetzen: »Deswegen kommen wir jetzt zu den Fakten« – so der BR24 #Faktenfuchs in dem Video.

Der BR24 #Faktenfuchs zitiert sodann einen Bericht der »Nichtregierungsorganisation« Freedom House, die maßgeblich von der US-Regierung finanziert wird (gleichzeitig auch von anderen Regierungen, der Open Society Foundations von George Soros [die übrigens auch das oben genannte IFCN finanziert] oder von Firmen wie Google oder Facebook).

Bei diesem Bericht handelt es sich um den Bericht »Freedom in the World« (mutmaßlich zum Jahr 2021). Deutschland kommt in diesem Bericht auf einer Weltkarte vor, bei denen die Länder der Welt farblich in Bezug auf den Grad der allgemeinen Freiheit (»freedom«) gekennzeichnet wurden (grün steht für den Status »frei«, gelb für »teilweise frei« und rot für »nicht frei«). Dort ist zum Beispiel Deutschland grün (»frei«) gekennzeichnet, Bolivien, Mexiko und Ecuador gelb (»teilweise frei«) und Mali, Kirgisistan, Sudan oder Afghanistan rot (»nicht frei«).

Dass die Meinungsfreiheit (zusammen mit Glaubensfreiheit) nur eine von sieben Subkategorien von »Freedom in the World« ist, so dass die Weltkarte keinerlei Aussagekraft speziell in Bezug auf die Meinungsfreiheit hat, wird vom BR24 #Faktenfuchs nicht erläutert. Stattdessen werden verschiedene Vergleiche mit anderen Ländern angestellt und mitgeteilt, dass Deutschland in den letzten Jahren stets mindestens 94 von 100 Punkten erreicht hat (in Bezug auf sämtliche Freiheitskategorien, so dass all dies in Bezug auf die Meinungsfreiheit gar keine Rolle spielt).

Der entscheidende Fakt wird nach allerlei Ablenkungen erst am Ende gebracht: dass Deutschland speziell bei der Meinungsfreiheit lediglich 3 von 4 möglichen Punkten erreicht hat.

Der BR24 #Faktenfuchs zitiert einen weiteren Bericht von Freedom House, nämlich »Freedom on the net 2021«, bei dem es ebenfalls nicht speziell um das Thema Meinungsfreiheit geht, sondern um die Freiheiten im Internet (in die Wertung fließen hier zum Beispiel auch Hürden zum Internetzugang ein). Dort ist Deutschland ebenfalls auf einer Weltkarte mit grün gekennzeichnet. Das genügt dem #Faktenfuchs, obwohl Deutschland beim Thema Zensur und Selbstzensur, Lebendigkeit und Vielfalt des Online-Umfelds sowie Nutzung digitaler Werkzeuge für die Bürgerbewegung (»forms of censorship and self-censorship; the vibrancy and diversity of the online environment; and the use of digital tools for civic mobilization«) laut dem Bericht schlechtere Werte hat als das Land Angola, welches in dem anderen vom BR24 #Faktenfuchs zitierten Bericht »Freedom in the World« mit »nicht frei« (Farbe rot) gekennzeichnet wurde.

Die wichtigsten Befunde dieses Berichts verschweigt der BR24 #Faktenfuchs ebenfalls: So erreicht Deutschland in der vielleicht für die Meinungsfreiheit wichtigsten Kategorie »Setzen staatliche oder nichtstaatliche Akteure rechtliche, administrative oder andere Mittel ein, um Verlage, Content-Hosts oder digitale Plattformen zu zwingen, Inhalte zu löschen? (Do state or nonstate actors employ legal, administrative, or other means to force publishers, content hosts, or digital platforms to delete content?)« nur 2 von 4 möglichen Punkten.

Der BR24 #Faktenfuchs kommt zu folgendem Ergebnis:

»Laut diesen Berichten ist es um unsere Meinungsfreiheit schon mal etwas besser gestanden, aber wir stehen im Vergleich immer noch ganz gut dar.« Zu diesem Ergebnis kann der BR24 #Faktenfuchs nur deshalb kommen, weil er die ganze Zeit falsche Vergleiche zieht.

Zöge man korrekte Vergleiche, ergibt sich ein anderes Bild:

Laut dem Bericht »Freedom in the World« für das Jahr 2021 bekam Deutschland bei der Meinungsfreiheit nicht die volle Punktezahl, sondern lediglich 3 von 4 Punkten. Damit liegt Deutschland hinter Bolivien (auf der Weltkarte mit gelb als »teilweise frei« gekennzeichnet), welches die volle Punktzahl erreicht hat. Ebenfalls mit gelb sind auf der zitierten Weltkarte die Länder Mexiko und Ecuador gekennzeichnet. Diese Länder bekamen die gleiche Punktzahl wie Deutschland bei der Meinungsfreiheit. Und sogar mit rot (»nicht frei«) gekennzeichnete Länder wie Mali oder Kirgisistan bekamen 3 von 4 Punkten, ebenso wie Deutschland. Weitere rot gekennzeichnete Länder, die nur einen Punkt hinter Deutschland lagen, waren Sudan, Tschad, Algerien, Angola oder Afghanistan.

Ähnliche Vergleiche kann man auch in Bezug auf den Bericht »Freedom on the net 2021« ziehen. Würde man eine für die Meinungsfreiheit relevante Kategorie nehmen wie »Setzen staatliche oder nichtstaatliche Akteure rechtliche, administrative oder andere Mittel ein, um Verlage, Content-Hosts oder digitale Plattformen zu zwingen, Inhalte zu löschen?«, wäre Deutschland (2 von 4 Punkten, grün) hinter Mexiko (3 von 4 Punkten, gelb), gleichauf mit Sudan und Pakistan (2 von 4 Punkten, jeweils rot) und einen Punkt vor Russland (1 von 4 Punkten, rot).

Fazit

Wenn nun der BR24 #Faktenfuchs behauptet, wir stünden im Vergleich ganz gut dar, ist das zumindest irreführend – insbesondere, wenn zur Rechtfertigung dieses Ergebnisses die ganze Zeit Äpfel mit Birnen verglichen werden. Dem Anspruch »Jetzt kommen wir zu den Fakten.« wird der BR24 #Faktenfuchs jedenfalls nicht gerecht. Im Ergebnis wird lediglich eine Meinung präsentiert, dass wir im Vergleich ganz gut dastünden, welche auf »Fakten« beruhe, die aber überwiegend gar nichts mit dem Thema Meinungsfreiheit zu tun haben.

Am Ende des Videos des BR24 #Faktenfuchs kommt dieser in Bezug auf die Frage »Wie steht es um die freie Meinungsäußerung in Deutschland« sogar zu folgendem Ergebnis: »Grundsätzlich gut. Deutschland ist im oberen Mittelfeld in Europa. Das Gefühl vieler Menschen, dass man immer weniger sagen dürfe, spiegelt sich in den Zahlen nicht.« Zwar gibt der BR24 #Faktenfuchs wenigstens zu, dass noch Luft nach oben ist (insbesondere wegen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes), jedoch dürfte das vom BR24 #Faktenfuchs wiedergegebene Ergebnis als falsch zu bewerten sein. Denn die oben zitierten 3 von 4 bzw. 2 von 4 Punkten sind ersichtlich nicht das obere Mittelfeld in Europa – man liegt stattdessen eher gleichauf mit Mexiko, Mali oder Kirgisistan nach den vom BR24 #Faktenfuchs herangezogenen Quellen.

RA Jan Ristau

Über mich

Ich bin Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei in Düsseldorf, Autor von Aufsätzen in juristischen Fachzeitschriften, Autor des Buches »Meinungsfreiheit in Gefahr! Wie der Staat die Demokratie aushöhlt" und Betreiber dieser Internetseite.

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