Sobald die Demokratien ihre Vormachtstellung aufgeben und ihr Bekenntnis zur freien Meinungsäußerung durch Privatisierung und Auslagerung der Regulierung aufgeben, werden sich die Autoritären darauf stürzen und einen regulatorischen Wettlauf nach unten veranstalten.
Jacob Mchangama
Leiter der dänischen Bürgerrechtsorganisation Justitia
Der Digital Services Act (DSA; auf deutsch: Gesetz über digitale Dienste) ist seit dem 17. Februar 2024 vollständig anwendbar. Bei dem Digital Services Act handelt es sich um eine Verordnung der Europäischen Union. Sie entfaltet unmittelbare Wirksamkeit in den EU-Mitgliedstaaten. Sämtliche Online-Anbieter, die ihre Dienste in der EU anbieten, müssen den Digital Services Act beachten.
Worum geht es beim Digital Services Act?
Worum es geht, erklärt die Bundesregierung auf ihren Internetseiten: Der Digital Services Act »zielt auf ein sichereres und verantwortungsvolleres Online-Umfeld ab. Die Vorschriften im Gesetz über digitale Dienste sind ein einheitliches gemeinsames Regelwerk für die gesamte Europäische Union. Sie schützen Nutzerinnen und Nutzer besser und bieten Unternehmen im gesamten Binnenmarkt Rechtssicherheit. Es gilt für alle digitalen Dienste, die den Verbraucherinnen und Verbrauchern Waren, Dienstleistungen oder Inhalte vermitteln.
Das Gesetz über digitale Dienste erleichtert die Entfernung illegaler Inhalte und schützt die Grundrechte der Nutzerinnen und Nutzer. Hierunter fällt auch die Redefreiheit im Internet. Für große Online-Plattformen und Suchmaschinen, die monatlich mindestens 45 Millionen aktive Nutzerinnen und Nutzer erreichen, gelten besondere Sorgfaltsanforderungen, wie zum Beispiel die Pflicht zur Risikoanalyse und Risikominimierung. Dazu sollen illegale Inhalte auf Plattformen besser bekämpft werden. Dies betrifft neben Hassrede beispielsweise auch (…).«
Problem: Unbestimmte Begriffe
Wenn man die Beschreibung der Bundesregierung liest, könnte man denken, dass es ausschließlich um die Entfernung illegaler Inhalte geht. So ging es noch beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz, welches nunmehr vom DSA abgelöst wurde, ausschließlich um die Bekämpfung bestimmter Straftaten. Und schon das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wurde seinerzeit von der herrschenden Meinung in der Fachliteratur wegen des zu weit gehenden Eingriffs in die Meinungsfreiheit als verfassungswidrig abgelehnt.
Der Digital Services Act geht noch weiter, da auch Risiken bekämpft werden sollen, die von rechtmäßigen Inhalten ausgehen können. Dies wird im Digital Services Act in den Formulierungen deutlich, dass es nicht nur um die Verbreitung rechtswidriger, sondern auch um die Verbreitung »anderweitig schädlicher Informationen« geht. Es geht darum Desinformation und »gesellschaftlichen Risiken, die die Verbreitung von (…) anderen Inhalten mit sich bringen kann« entgegenzuwirken.
Völlig offen bleibt im Digital Services Act, was »anderweitig schädliche Informationen« oder »andere Inhalte, welche gesellschaftliche Risiken mit sich bringen können«, sein sollen.
Die Einhaltung der Regeln, welche der Digital Services Act vorgibt kontrolliert in Deutschland vor allem die Bundesnetzagentur. Auch der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller (Bündnis 90/Die Grünen) weiß nicht, was unter »schädlichen Inhalten« zu verstehen sei. Dies gab er in einem Spiegel-Interview aus März 2024 zu. Wenn er also noch nicht einmal weiß, was darunter zu verstehen ist, wie sollen es dann Online-Anbieter wie Facebook, TikTok und Co. wissen und sich danach richten?
Problem: Erweiterung des Begriffs Desinformation
Auch wurde der Begriff der Desinformation über den Verhaltenskodex 2022 über den natürlichen Wortsinn hinaus erweitert. Der Verhaltenskodex 2022, zu dessen Unterzeichnern unter anderem Google, Meta, Microsoft oder TikTok zählen, umfasst konkrete Verpflichtungen für Online-Anbieter. Hierunter fallen zum Beispiel eine verbesserte Zusammenarbeit mit Faktencheckern und die Anerkennung eines bestimmten Begriffes von Desinformation. Der Kodex definiert Desinformation wie folgt:
- Fehlinformation,
- Desinformation,
- Informationsbeeinflussungsoperationen und
- ausländische Einmischung in den Informationsraum.
Dieser viergliedrige Desinformationsbegriff ist nicht mit den Maßstäben unseres Grundgesetzes zur Meinungsfreiheit, wie sie vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeitet wurden, zu vereinbaren. So fällt zum Beispiel nach dem Bundesverfassungsgericht eine Fehlinformation nur dann nicht in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit, wenn die Unwahrheit bereits im Zeitpunkt ihrer Äußerung unzweifelhaft feststeht.
Einen solch indirekten, verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff aber stellt die (…) Verknüpfung des Desinformations-Kodexes mit dem DSA und seinem hoheitlichen Sanktionsregime dar. Daher sollten sämtliche Bezüge auf die Regulierung von »Desinformation« oder sonst »schädlicher« Inhalte aus dem DSA gestrichen werden.
Prof. Dr. Alexander Peukert
Professor für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
Drohende Strafen führen zu »Overblocking«
Der im September 2024 zurückgetretene EU-Kommissar Thierry Breton war als Mitglied der EU-Kommission für den Digital Services Act sowie die Bekämpfung von Desinformation zuständig, In einem Spiegel-Interview beschrieb er, was droht, wenn gegen die Regeln des Digital Services Act verstoßen wird: »Falls (…) eine (…) Plattform gegen das Gesetz verstößt (…), werden wir sie zunächst benachrichtigen. Sollten sie nicht innerhalb einer kurzen Zeitspanne reagieren, werden Bußgelder von bis zu sechs Prozent des globalen Jahresumsatzes fällig. Falls dann immer noch keine Besserung eintritt, ergreifen wir weitere Maßnahmen.« Notfalls würde dann die Online-Plattform in der EU verboten.
Um das Risiko von Verstößen gegen den Digital Services Act und der damit einhergehenden Strafen zu minimieren, steigt damit die Gefahr, dass im Zweifel alles gelöscht wird, was ansatzweise unter die unbestimmten Begriffe des Digital Services Act fallen könnte (Gefahr des sogenannten »Overblockings«).
Der Bürger, dessen Beiträge dann gegebenenfalls unberechtigterweise gelöscht werden, kann dann entweder die Löschung akzeptieren und sich überlegen, ob er überhaupt noch in den sozialen Medien Meinungsbeiträge veröffentlicht. Oder er kann klagen, was mit erheblichem (zeitlichen, nervlichen und finanziellen) Aufwand verbunden sein wird.
Hinweis: Hervorhebung in Zitaten durch Jan Ristau.