Insofern geht es bei dem Kampf gegen Hass nicht immer um die angeblichen Opfer und ihre Würde, sondern unter Umständen eher um die Selbstvergewisserung einer Mehrheit, die mit ihrer »Fürsorglichkeit« für eine »vulnerable Minderheit« letztlich nur ihre eigene Überheblichkeit und gefühlte Überlegenheit manifestiert.
Prof. Dr. Kai Möller
Professor of Law an der London School of Economics & Political Science (LSE)
Die Bundesregierung schreibt, dass die Meinungsfreiheit Grenzen kennt – »auch, weil Hass eben keine Meinung ist«. Die frühere Bundesministerin Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) hat sogar ein Buch mit dem Titel »Hass ist keine Meinung« geschrieben. Der Juraprofessor Arnd Diringer kommentiert dies wie folgt: »Hass ist keine Meinung und Renate Künast kein Gurkensandwich. Beides ebenso richtige wie blödsinnige Aussagen. Erstere aber gefährlich.«
Hass ist zunächst ein Gefühl, dass man ebensowenig verbieten kann wie andere Gefühle. Dieses Gefühl kann einer Meinung vorgelagert sein oder Anlass dafür sein, eine bestimmte Meinung zu haben. Gleichzeitig gibt es auch Meinungen, die auf Hass beruhen und vollständig von der Meinungsfreiheit gedeckt sein können. Ein eher harmloses Beispiel wäre ein Düsseldorfer (oder anders herum ein Kölner), der sagt: »Ich hasse Kölsch” (bzw. Altbier). Hass kann in der Kunst auch in Produktivität umgesetzt werden – Hass kann also bisweilen auch zu etwas Gutem führen. Der Hass selbst ist also nicht das eigentliche Problem, sondern was aus dem Hass folgt. Zunächst gilt es jedoch erst einmal, die in diesem Zusammenhang verwendeten Begrifflichkeiten auseinanderzuhalten.
Hass, Hetze, Hassrede etc.
Hass wird laut Duden wie folgt definiert: heftige Abneigung; starkes Gefühl der Ablehnung und Feindschaft gegenüber einer Person, Gruppe oder Einrichtung. Wie bereits gesagt, kann ein solches Gefühl nicht verboten werden, zumal das Gefühl allein noch kein Rechtsgut verletzt.
Hetze wird laut Duden definiert als Gesamtheit unsachlicher, gehässiger, verleumderischer, verunglimpfender Äußerungen und Handlungen, die Hassgefühle, feindselige Stimmungen und Emotionen gegen jemanden, etwas erzeugen. Bei dem Begriff Hetze kann man schon erkennen, dass Hetze erlaubt (z. B. weil sich jemand lediglich unsachlich äußert und dies negative Gefühle gegen etwas erzeugt) oder verboten (z. B. im Fall einer Verleumdung nach dem Strafgesetzbuch) sein kann.
Gleiches gilt für die sogenannte »Hassrede« (auch »Hatespeech« genannt) als Hassbotschaften enthaltende Rede oder Hass verbreitende Art des Sprechens oder Schreibens. Diese kann strafbar und damit nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. Sie kann aber genausogut nicht strafbar und von der Meinungsfreiheit gedeckt sein.
Meinungsfreiheit vs. Strafbarkeit
Es gibt verschiedene Straftatbestände, die auch gegen »Hass und Hetze« gerichtet sind. So gibt es zum Beispiel die Beleidigungsdelikte in den §§ 185 ff. Strafgesetzbuch (StGB). Diese Strafvorschriften richten sich gegen Verletzungen der persönlichen Ehre. Zu nennen sind aber auch zum Beispiel die Volksverhetzung (§ 130 StGB) sowie die relativ neue Vorschrift des § 126a StGB zum Schutz gegen sogenannte Feindeslisten.
Für ein demokratisches Gemeinwesen erweist es sich als gefährlich, den strafrechtlichen Korridor scharf an der Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen zulasten der freien Rede immer weiter auszudehnen.
Prof. Dr. Elisa Hoven
Professorin für deutsches und ausländisches Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Medienstrafrecht an der Universität LeipzigProf. Dr. Dr. Frauke Rostalski
Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung an der Universität zu Köln und Mitglied des Deutschen Ethikrats
Gerade § 126a StGB (Strafbarkeit von »Feindeslisten«) wird als Beispiel für eine Strafvorschrift angesehen, welche weit in den politischen Meinungskampf hineinreichen kann. Stimmen in der Fachliteratur haben starke verfassungsrechtliche Bedenken und plädieren deshalb für die Streichung der Vorschrift.
Ebenso in der Kritk steht die Vorschrift der Volksverhetzung, insbesondere ihre Erweiterung im Jahr 2022. Warum, erläutert zum Beispiel Prof. Dr. Hoven in ihrem Beitrag »Der neue § 130 ist eine Gefahr für die kritische Diskussion«. Sie kommt zu dem Ergebnis: »Als Gesellschaft müssen wir uns überlegen, wie politisch unser Strafrecht sein soll, und ob wir nicht in der Lage sind, auch unangebrachte und kritikwürdige Äußerungen auszuhalten, ohne nach der Staatsanwaltschaft zu rufen.«
Beleidigungsdelikte werden in der Regel nur auf Antrag des Betroffenen verfolgt. Laut polizeilicher Kriminalstatistik für 2023 gab es fast 250.000 Verfahren wegen Beleidigungsdelikten. Was als strafbare Beleidigung zu qualifizieren ist und was nicht, ist oftmals eine juristisch äußerst schwierige Angelegenheit. So würde man vielleicht denken, dass zum Beispiel die Äußerung »selten dämlicher Staatsanwalt, der nicht lesen und schreiben kann« ein klarer Fall einer Beleidigung ist. Jedoch kommt es immer auf den jeweiligen Einzelfall an, vor allem weil die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen grundsätzlich immer gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit abgewogen werden muss. Wie so eine Abwägung zu erfolgen hat – insbesondere wenn es um Machtkritik geht – kann der interessierte Leser in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu der soeben zitierten Äußerung (»selten dämlicher Staatsanwalt«) nachlesen. Es ist in der Rechtswissenschaft anerkannt, dass es weder schlechthin beleidigende (Schimpf-)Wörter noch schlechthin »harmlose« Begriffe gibt. Nahezu Alles kann mit sprachlichen Mitteln so dargestellt werden, so dass in einer konkreten Situation das Gegenteil der eigentlichen Bedeutung ausdrückt wird („Eine reife Leistung“).
Als Zwischenfazit kann festgehalten werden: Die Begriffe Hass und Hetze sind nicht sehr präzise. Sehr vieles, was gemeinhin als Hass und Hetze gilt oder was jemand für Hass und Hetze hält, wird von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. Prof. Dr. Kai Möller drückt es in seinem Beitrag »Wie Anti-Hass-Gesetze die Demokratie beschädigen« so aus: [Es ist] »schwierig bis unmöglich, geschützte Rede von Hassrede abzugrenzen, denn es besteht die große Gefahr, am Ende nur die eigene moralische Missbilligung oder andere subjektive Befindlichkeiten zum Maßstab zu nehmen.« Nach seiner Meinung besteht ein optimistischer und prinzipiengeleiteter verfassungsrechtlicher Schutz der Meinungsfreiheit darin, auch die Freiheit des Anderen zu schützen, den Gedanken auszudrücken, den wir hassen.
Des Weiteren sei wiederholt, dass Strafvorschriften im politischen Meinungskampf eine Rolle spielen können. Das ist nämlich deswegen relevant, da die Staatsanwaltschaft normalerweise darüber entscheidet, ob ein Strafverfahren angestoßen wird oder nicht. Die Staatsanwaltschaft ist jedoch in Deutschland keine unabhängige Behörde, sondern unterliegt den Weisungen der Justizminister. Über diese Weisungsrecht können Ermittlungen behindert oder sogar verhindert werden – wie im Fall der Cum-Ex-Ermittlungen. Ähnliches lässt sich in Bezug auf bestimmte Meinungsäußerungen in der Corona-Zeit vermuten. Die Strafrechtsprofessorinnen Hoven/Rostalski drücken es so aus: »Der Blick auf den strafrechtlichen Umgang mit Meinungsäußerungen während der Pandemie lässt daher ein gewisses Ungleichgewicht vermuten. Von Anklagen gegen Personen, die Ungeimpfte oder Gegner von Corona-Schutzmaßnahmen öffentlich diffamiert haben, ist jedenfalls wenig bekannt.« Umgekehrt können auch Verfahren gegen Personen eingeleitet werden, bei denen es höchst fraglich ist, ob diese sich überhaupt strafbar gemacht haben – so wie in dem bereits zitierten Aufsatz von Hoven/Rostalski. Im politischen Meinungskampf kann sich deshalb die Regierung auch insoweit den Chilling Effect zunutze machen. Übrigens hat bereits der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass deutsche Staatsanwaltschaften der Gefahr ausgesetzt sind von der Exekutive beeinflusst zu werden und ein unabhängiges Handeln nicht gewährt ist. Die Politik könnte sich übrigens ganz einfach von diesen Vorwürfen freimachen, wenn die Staatsanwaltschaft eine unabhängige Behörde würde – es werden von der Politik jedoch keine Anstalten gemacht dies auf den Weg zu bringen.
Der Kampf gegen Hassrede anhand von Beispielen
Der Rechtswissenschaftlicher und ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Thomas Fischer schreibt: »Die Bekämpfung von Hass und Hetze ist, wie alle Leser wissen, ein dauerhaft aktuelles Anliegen aller Menschen guten Willens, die per definitionem gegen Hass und Hetze (im Folgenden: H&H) sind. Also eigentlich aller. Mir persönlich ist jedenfalls niemand bekannt, der sich öffentlich als Anhänger von H&H vorgestellt oder zu diesem Kommunikationsmodell bekannt hat. Denn eines der Probleme im Umgang mit H&H ist ja, dass es bedauerlicherweise ausnahmslos stets die jeweils anderen sind, die sich ihrer bedienen, während diejenigen, welche über H&H sprechen, ausschließlich deren Opfer sind.«
So kritisiert die SPD-Vorsitzende Saskia Esken den mangelnden Kampf gegen Hass und Hetze, bezeichnete aber Bürger, welche unter freiem Himmel gegen Corona-Maßnahmen demonstrierten, als »Covidioten«. Dies wiederum empfanden andere Menschen anscheinend als das, was Saskia Esken unter Hass und Hetze versteht, nämlich ein strafbares Beleidigungsdelikt – zumindest wurde sie deswegen bei der Staatsanwaltschaft angezeigt.
Wenn jemand von »Hass und Hetze« spricht, plappert er entweder ohne nachzudenken nach, was alle plappern. Oder er will die Meinungsfreiheit einschränken und politisch unerwünschte Kritik kriminalisieren.
Rechtsanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel
Der Kampf gegen Hass und Hetze wird nicht nur auf der Ebene der Strafbarkeit geführt. Insbesondere soll zum Beispiel mittels des Digital Services Act der Hass im Netz bekämpft werden. Dies betrifft gemäß der Bundesregierung die »Hassrede«, ohne jedoch, dass die Bundesregierung von »illegaler« oder »strafbarer« Hassrede spricht. Der Hintergrund ist, dass soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram, YouTube, Twitter/X oder TikTok mitunter als Plattform für herabwürdigende und bedrohliche Äußerungen genutzt werden. Was das für die Meinungsfreiheit bedeuten kann, lässt sich anhand der Beispiele zeigen, die der Rechtsanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel in seinem Buch »Die digitale Bevormundung« schildert. So wurde in sozialen Netzwerken wegen »Hassrede« gelöscht:
- Eine Erklärung mit folgendem Wortlaut: »Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.«
- Ein Video mit einem Auszug der in der ARD ausgestrahlten Serie «Entweder Broder – Die Deutschland-Safari« (mit dem jüdischen Publizisten Henryk Broder) wegen angeblicher Verharmlosung des Holocausts.
- Löschung eines Videos einer Produktion von ORF und ZDF, in dem der Autor, Kabarettist und Schauspieler Helmut Qualtinger aus »Mein Kampf« liest.
- Zitate von Heinreich Heine oder des katholischen Publizisten Joseph Görres.
- etc.
Die Löschungen und Sperrungen wegen Hassrede erfolgten übrigens nicht aus irgend einem schlecht programmierten Algorithmus. Denn bisweilen hat noch nicht einmal eine Beschwerde ausgereicht, um das jeweilige soziale Netzwerk dazu zu bewegen, die entsprechenden Beiträge wieder herzustellen. Teilweise musste sogar erst geklagt werden, was eine Vorstellung davon gibt, was inzwischen alles unter dem Deckmantel »Hassrede« oder »Hass und Hetze« gecancelt wird.
Staat geht offen gegen erlaubte Meinungen vor
Die Bekämpfung der Meinungsfreiheit durch staatliche Stellen wurde zum Beispiel bereits erfolgreich mittels des Digital Services Acts outgesourct. Der Staat macht aber inzwischen gar keinen Hehl mehr daraus, dass er auch gegen von der Meinungsfreiheit gedeckte Aussagen vorgehen möchte. Dies heißt dann in der Sprache der Bundesregierung: »Wir wollen dem Umstand Rechnung tragen, dass Hass im Netz auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze vorkommt.« – so wörtlich die Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen). Ich belasse es mal bei den folgenden Zitaten der Staatsrechtlers Lindner.
Art. 5 I GG schützt die Meinungsfreiheit. Diese wird durch die allgemeinen Gesetze beschränkt (insbes. StGB). Von Verhöhnung, Delegitimierung des Staates steht da nichts. Es gibt keine Norm, wonach Meinungen unterhalb der Strafbarkeitsebene sanktioniert werden dürften. Wäre ja auch grotesk.
Professor für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Augsburg
Mit dem Strafrecht hat der Gesetzgeber die Grenze der Meinungsfreiheit gezogen. Unterhalb dieser Grenze dürfen Meinungen nicht eingeschränkt oder sanktioniert werden, da es an einem »allgemeinen Gesetz« (Art. 5 II GG) fehlt. Weiß Bundesministerin Paus das?
Das Gerede von Ministerinnen, auch »unterhalb der Strafbarkeitsgrenze« müsse der Staat gegen Bürger vorgehen, erinnert an § 2 StGB 1935 (!): »Findet auf die Tat kein bestimmtes Gesetz Anwendung, wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf Sie am besten zutrifft«.