Zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes gibt es nicht nur Grund zum Jubel. Die Freiheiten aus Artikel 5 sind gefährdet. Dazu trägt die Bundesregierung das Ihre bei.
Prof. Dr. Christoph Degenhart
emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Medienrecht der Universität Leipzig
Der renommierte Juraprofessor und ehemalige Richter am sächsischen Verfassungsgerichtshof Christoph Degenhart veröffentlichte im Mai 2024 einen Gastbeitrag in der FAZ mit dem Titel: »Wie der Staat Meinungsfreiheit einschränkt«. In diesem zeigt er verschiedene Missstände im Zusammenhang mit staatlichem Handeln in Bezug auf die Meinungsfreiheit auf.
Auf bestimmte Meinungskorridore festgelegt
Der Staat sagt, was wir nicht sagen dürfen, er sagt uns aber zusehends auch, was wir sagen sollen.
Prof. Dr. Christoph Degenhart
Degenhart beschreibt, dass Leitmedien (wie etwa die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten) oder auch staatlich geförderte NGOs, gerade in Bereichen mit gesellschaftlichem Konfliktpotential, vorgeben, was zu sagen gesellschaftlich akzeptiert ist.
Wenn dann in breiten Gesellschaftsschichten die Vorstellung herrschen sollte, man sei auf bestimmte Meinungskorridore festgelegt, so könne dies zur Selffulflling Prophecy werden, was wiederum die Meinungsfreiheit gefährde.
Der Staat sei gehalten, nicht seinerseits das Meinungsklima zu verschlechtern, weder mit dem Instrumentarium des repressiven Staates noch mit den »sanften« Mitteln des lenkenden und fördernden Staates. In Bezug auf Letzters nennt er insbesondere das (bislang zum Glück nicht in Kraft getretene) Demokratiefördergesetz, durch das bestimmte, von der Bundesregierung ausgewählte NGOs und Projekte langfristig finanziell gefördert werden sollen.
Delegitimierung des Staates
Dies steht in eklatantem Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das überspitzt-ironische, satirische, abwertende oder polemische Äußerungen sowie auch extremistische Äußerungen unter die Freiheit der Meinungsäußerung fasst, (…)
Prof. Dr. Christoph Degenhart
Über die Begriffsschöpfung des Verfassungsschutzes wurde bereits hier berichtet. Degenhart bezeichnet es als einen »sehr direkten Angriff auf die Meinungsfreiheit«, wenn der Verfassungsschutz für sich die Befugnis in Anspruch nimmt, gegen legale, vom Grundgesetz gedeckte Meinungsäußerungen mittels Begriffsschöpfungen wie »Delegitimierung« des Staates, durch »Agitation« oder »Verächtlichmachen von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates und ihrer Entscheidungen« vorzugehen.
Einschüchterungseffekte
Degenhart spricht bestimmte Chilling Effects an. Er spricht das »beharrliche Bemühen, die Grenzen der Strafbarkeit zu verschieben«, begleitet von dem »zunehmende Anzeigeneifer kritikempfindlicher Vertreter der Politik« an. Dabei wird er Beispiele wie das eines bayerischen Unternehmers meinen, der sich aufgrund von zulässiger Meinungskundgabe und Machtkritik einem Strafverfahren ausgesetzt sah.
Auch wenn die Gerichte sich dessen meist bewusst sind, muss doch das Risiko strafrechtlicher Verfolgung auf Grund von Anzeigen staatlicher Funktionsträger oder auch kostenintensiver zivilrechtlicher Unterlassungsklagen als Hemmnis für die Ausübung der Grundrechte des Artikels 5 Grundgesetz wirken.
Prof. Dr. Christoph Degenhart
Meinungsfreiheit bedeutet Meinungsvielfalt
Schließlich kritisiert Degenhart die »ausgreifende staatliche Informationstätigkeit durch staatliche Publikationen und Internetportale. Gravierender noch als derartige offene Kompetenzüberschreitungen sind intransparente Formen einer Kooperation von Staat und Medien, zumal wenn es sich um staatlich geförderte Medien handelt, wie etwa im Fall des Rechercheportals Correctiv.«
Kritisiert wird auch das Demokratiefördergesetz, da staatlich geförderte Nichtregierungsorganisationen ein Widerspruch in sich seien. Staatliche Finanzierung würde Staatsnähe bedeuten sowie Abhängigkeiten und staatliches Einflusspotential schaffen. Eben deshalb sei ein Demokratiefördergesetz, wie es der Bundesregierung vorschwebt, keineswegs so demokratiefördernd, wie es die Bezeichnung suggeriere. Auch staatliche Förderung könne grundrechtliche Freiheit gefährden und zur schleichenden Aushöhlung der Meinungsfreiheit beitragen. Degenhart kommt zu folgendem
Fazit
Die Freiheit der Meinungsäußerung als die »Grundlage jeder Freiheit überhaupt« zum Schutz des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates zu beschränken, wird dessen Resilienz nicht stärken – im Gegenteil.
Prof. Dr. Christoph Degenhart
Hinweis: Hervorhebung in Zitaten durch Jan Ristau.