»Betreutes Denken wird um sich greifen«

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Am Samstag tritt der Digital Services Act in Kraft. Er wird dafür sorgen, dass betreutes Denken um sich greift. Das ist nicht das einzige verfassungsrechtliche Bedenken gegen die EU-Verordnung und das noch zu beschließende deutsche Ausführungsgesetz.


Dr. Manfred Kölsch
Rechtsanwalt und ehemaliger Vorsitzender Richter am Landgericht Trier in seinem Beitrag »Die Meinungsfreiheit stirbt hinter schönen Fassaden«

Sehr lesenswert formuliert Dr. Kölsch die Kritik am Digital Services Act (DSA) aus Sicht der Meinungsfreiheit im Magazin Cicero und der Berliner Zeitung.

Zwar würde sich der Digital Services Act zur Meinungsfreiheit bekennen. Dieses Bekenntnis sei jedoch lediglich Fassade. Dahinter würde »die Axt an fundamentale Grundsätze unseres demokratischen Gemeinwesens gelegt«.

Verkümmerung der demokratischen Auseinandersetzung

Die vagen Begriffe des DSA seien als indirekter Eingriff in die Meinungs- und Informationsfreiheit zu werten. Denn der Bürger könne sein Verhalten am Maßstab dieser unbestimmten Begrifflichkeiten nicht ausrichten und werde deshalb das vom DSA »gelegte Minenfeld nicht betreten, um immanente soziale Nachteile für sich zu vermeiden«. In der Konsequenz bedeute dies für den Bürger, dass er sich selbst innerer Vorzensur unterwerfen werde [Anmerkung: Stichwort Chilling Effect].

Methodisch würde ein Klima des gegenseitigen Misstrauens erzeugt. Die geführten »Debatten« degenerierten dadurch zu Scheindebatten im vorgegebenen Meinungskanal. Das Lebenselement einer freiheitlichen Grundordnung – die ständige geistige Auseinandersetzung gegensätzlicher Meinungen – würde auf diese Art zusätzlich eingeschränkt.

Er kritisiert, dass der DSA eine präventive Informationskontrolle vorsieht, die nicht gerechtfertigt werden kann, und zitiert den Generalanwalt beim EuGH.

In einer demokratischen Gesellschaft werden solche vorbeugenden Maßnahmen grundsätzlich abgelehnt, weil sie durch die Einschränkung bestimmter Informationen schon vor deren Verbreitung jede öffentliche Debatte über den Inhalt verhindern und damit die Meinungsfreiheit ihrer eigentlichen Funktion als Motor des Pluralismus berauben.


Henrik Saugmandsgaard Øe
Generalanwalt am EuGH

In Zweifel: Löschung

Bei Nichtbefolgung der unbestimmten Anweisungen des DSA drohen Plattformbetreibern Sanktionen wie Geldbußen in Höhe von bis zu 6 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes im vorangegangenen Geschäftsjahr.

Die großen Plattformen und Suchmaschinen werden deshalb zum sogenannten Overblocking neigen. Durch die von einigen Plattformen schon zu 90 Prozent verwendeten und von dem DSA forcierten automatischen Inhaltserkennungstechnologien würden nicht nur die Zahl der Löschungen zunehmen, sondern auch die Fehlentscheidungen. Zurzeit seien die automatisierten Moderationswerkzeuge weder in der Lage, die Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen Verhaltens vorauszusagen, noch die verwendeten Generalklauseln durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung mit verfassungsgemäßem Inhalt zu füllen.

Brisanz für Bürger nicht unmittelbar erkennbar

Die Kommission lasse also mit Unterstützung Dritter Eingriffe in die Meinungs- und Informationsfreiheit durchführen, die, falls der Staat sie selbst unmittelbar durchführen würde, verfassungswidrig wären. Direkt beteiligt sei er nur durch die Finanzierung zivilgesellschaftlicher Hinweisgeber.

Die Brisanz des DSA ist für den Bürger wegen dessen Umfang und der Komplexität der Materie nicht unmittelbar erkennbar. Die Gefahr für demokratische Grundrechte verwirklicht sich nur schleichend und ist professionell hinter einer rechtsstaatlichen Fassade versteckt. Hinter dieser Fassade wird jedoch wissentlich das von Artikel 11 der EU-Grundrechtecharta, Artikel 10 der Europäischen Menschrechtskonvention und Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit ausgehöhlt.


Dr. Manfred Kölsch

RA Jan Ristau

Über mich

Ich bin Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei in Düsseldorf, Autor von Aufsätzen in juristischen Fachzeitschriften, Autor des Buches »Meinungsfreiheit in Gefahr! Wie der Staat die Demokratie aushöhlt" und Betreiber dieser Internetseite.

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