Organisierte Denunziation ist ein Mittel von Diktaturen. Wer so etwas als Partei einsetzt (…) gibt viel über sein eigenes Demokratieverständnis preis.
Ehemalige Bundesjustizministerin
Dieses Zitat von Katarina Barley bezog sich auf Pläne der AfD, Meldeportale gegen Lehrer einzurichten, in denen Schüler politische Äußerungen von Lehrern melden können. Das Zitat stammt aus dem Jahr 2018.
Staat fördert zahlreiche Meldestellen
Inzwischen fördert der Staat verschiedenste Meldeportale – so zum Beispiel die »Meldestelle Antifeminismus«, die von der Amadeu Antonio Stiftung betrieben wird . Die Amadeu Antonio Stiftung hat im Rahmen des Bundesprogramms »Demokratie leben!« im Zeitraum von 2020 – 2024 mehr als 2,7 Millionen Euro an Steuergeldern erhalten hat. Relevant für diese Meldestelle ist jeder Sachverhalt mit »antifeministischer Dimension«. Nach einem Artikel in der NZZ sei es leicht vorstellbar, dass ein konservativer Politiker, der sich bei einer Wahlkampfveranstaltung gegen Sprachregelungen und für die Familie als Keimzelle der Gesellschaft ausspricht, dort tausendfach als Antifeminist gemeldet wird. So sei es ein Kinderspiel, den politischen Gegner anzuschwärzen und bei Bedarf auf das Urteil der Stiftung zu verweisen. Daran sei wenig bis nichts feministisch, aber alles antidemokratisch und illiberal. Denunziation stehe im Gegensatz zu den Werten einer liberalen Gesellschaft, für die die Stiftung angeblich eintreten wolle.
Der Staat, der private Meldestellen aus Steuermitteln gezielt finanziert, wirkt gegebenenfalls auch an Grundrechtsbeeinträchtigungen mit und macht sie sich zu eigen. Das darf er nicht, es sei denn ein Gesetz würde ihm das ausdrücklich erlauben.
Professor für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Augsburg
Hinweisgeberschutzgesetz
In der Kritik steht auch das Mitte 2023 in Kraft getreten Hinweisgeberschutzgesetz. Dieses Gesetz ist die deutsche Umsetzung der sog. EU-Whistleblower-Richtlinie. Anstatt jedoch nur das Nötigste umzusetzen, ging die Ampel-Regierung bei der Umsetzung weit über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinaus. Ziel des Hinweisgeberschutzgesetzes ist der Schutz von Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über bestimmte Verstöße erlangt haben und diese melden. Das Hinweisgeberschutzgesetz verbietet dabei jegliche Repressalien gegenüber hinweisgebenden Personen (sog. Whistleblowern) und verpflichtet Firmen, entsprechende Meldestellen einzurichten. Informanten bleiben also anonym. Falschmeldungen werden nicht sanktioniert.
Welche Folgen das neue Meldesystem der Bundesregierung haben wird, ist noch nicht abzusehen. Im besten Fall wird es von der Bevölkerung ignoriert. Dann ist es nur eine weitere bürokratische Last für private und öffentliche Arbeitgeber. Im schlechtesten Fall wird es massenhaft genutzt und vergiftet dadurch sukzessive die Sozialbeziehungen.
Denn wer bei jeder Tätigkeit und jedem Gespräch daran denken muss, dass einer Meldestelle davon Mitteilung gemacht werden könnte, entwickelt einen Argwohn, wie man ihn sonst nur aus Diktaturen kennt.
Dr. Hubertus Knabe
Deutscher Historiker und ehemaliger wissenschaftlicher Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen
Problematisiert wird insbesondere, dass nach dem Hinweisgeberschutzgesetz auch verfassungsfeindliche Äußerungen von Beamten auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle gemeldet werden sollen (s. BT-Drucksache 20/4909). Im Gesetz heißt es »Äußerungen von Beamtinnen und Beamten, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen«. Bei diesem Punkt sollte man insbesondere im Hinterkopf haben, wie schnell ein Bürger inzwischen vom Verfassungsschutz beobachtet wird (s. dazu hier). Da kann schon eine kritische Begleitung des Regierungshandelns reichen. Insofern ist jedem Beamten anzuraten in Zukunft mit seinem Kollegen nicht über die üblichen Themen des Small-Talk (z. B. Essen und Trinken, Kochen, Lieblingsessen, Anreise, Wetter, Komplimente oder Sport) hinauszugehen. Die Angst vor Sanktionen nimmt dadurch zu (Stichhwort Chilling Effect).
Wird dieser Entwicklung nicht Einhalt geboten, könnte eine Gesellschaft entstehen, die keine Privatheit mehr kennt, sondern sich nach staatlichen Vorgaben selbst kontrolliert.
Dr. Hubertus Knabe
Eigene Meldestellen des Staates
Eigene Meldestellen plant der Staat ebenfalls, wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, so dass bestimmte von Artikel 5 Grundgesetz geschützte Meinungsäußerungen, die nach subjektiver Auffassung der Exekutive politisch nicht gewünscht sind, strukturell erfasst und ausgewertet werden können. Die Meldestellen sollen folgende Themen in den Blick nehmen: 1. Queerfeindlichkeit, 2. antimuslimischer Rassismus, 3. Antiziganismus sowie 4. anti-Schwarzer, antiasiatischer und weitere Formen von Rassismus. Dabei geht es explizit um Äußerungen »unter der Strafbarkeitsgrenze«.
Der Rechtsanwalt Dr. André Kruschke kommentiert dies in einem Fachaufsatz (s. NJOZ 2023, 33) wie folgt: »In einer für ein freiheitlich-demokratisches Staatswesen bislang nicht vorstellbaren Art und Weise beabsichtigt die Landesregierung in NRW die dauerhafte Errichtung staatlicher Meldestellen für die systematische Erfassung, Dokumentation und Analyse privater Meinungsäußerungen. Damit sollen zukünftig explizit auch von Art. 5 I GG geschützte Meinungskundgaben zum Gegenstand behördlicher (Sanktions-)Maßnahmen gemacht werden können, womit erste administrative Strukturen geschaffen werden, die man sonst nur aus totalitären Systemen kennt: Die strukturelle Erfassung und Auswertung von Meinungsäußerungen, die nach subjektiver Auffassung der Exekutive die Grenzen des politisch und gesellschaftlich Sagbaren überschritten haben.«
Er kommt zu folgendem Ergebnis: »Das für freiheitliche Gesellschaftsordnungen gefährliche Problem ist nicht die von der Meinungsfreiheit geschützte Aussage, sondern die übertriebene Reaktion darauf, sich schematisch beleidigt oder diskriminiert zu fühlen. Mit der Errichtung staatlicher Meldestellen, die ansonsten nur aus totalitären Staaten zur Einschüchterung und Unterdrückung der eigenen Bevölkerung bekannt sind, wird diese Tendenz aber nur noch weiter stimuliert. Statt wie in freiheitlich- demokratischen Grundordnungen üblich ‚auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien‘ zu vertrauen, wird durch die Errichtung staatlicher Meldestellen vielmehr ein ‚erster wichtiger Schritt‘ für die Etablierung eines eben solchen Systems erschaffen.«
Hinweis: Hervorhebung in Zitaten durch Jan Ristau.