Freiheit gilt für alle, nicht nur für die, die man mag und mit denen man sich einig ist. Das ist im Verfassungsstaat eine völlig banale Feststellung.
Prof. Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler
Professor für Öffentliches Recht, Medien- und Telekommunikationsrecht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Das Bundesinnenministerium unter der Führung der Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat am 16. Juli 2024 den Verein „COMPACT-Magazin GmbH“ verboten. Zu den Aktivitäten dieses Vereins gehört insbesondere die Herausgabe des monatlich erscheinenden „COMPACT-Magazin“ mit einer Auflage von 40.000 Exemplaren. Begründet wurde das Verbot insbesondere damit, dass Compact sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne von Artikel 9 des Grundgesetzes und § 3 des Vereinsgesetzes richten würde. Gegen das Verbot haben die Betroffenen geklagt und einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat das Bundesverwaltungsgericht am 14. August 2024 mit bestimmten Maßgaben stattgegeben. Das bedeutet, dass Compact bis zur Entscheidung in der Hauptsache seine Tätigkeit fortführen darf.
Dieser Beitrag beleuchtet das Agieren der Bundesregierung in diesem Zusammenhang sowie die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus Sicht der Meinungsfreiheit.
Keine echte Prüfung der Verhältnismäßigkeit durch das Innenministerium
Gemäß dem Bundesverwaltungsgericht stellte das Innenministerium mit ihrer Verbotsverfügung unter Berufung das Vereinsgesetz in Verbindung mit Artikel 9 Abs. 2 Var. 2 GG (dort heißt es »Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit (…) sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung (…) richten, sind verboten.«) fest – es war also der Ansicht –, dass die COMPACT-Magazin GmbH sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet, deshalb verboten würde und aufgelöst sei. Zur Begründung habe das Innenministerium angeführt, die Vereinigung lehne die verfassungsmäßige Ordnung nach ihren Zwecken und ihrer Tätigkeit ab und weise eine verfassungsfeindliche Grundhaltung auf. Dies würde u. a. in zahlreichen Beiträgen des monatlich erscheinenden »COMPACT-Magazin für Souveränität« zum Ausdruck kommen.
Das Innenministerium führt auf seiner Internetseite in einer Kurzmeldung als Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch einmal seine wesentlichen Gründe für das Verbot der durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuften Organisation auf. Worte wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit oder Verhältnismäßigkeit fehlen in der Kurzmeldung völlig.
Diese nicht hinreichende Befassung mit diesen Begriffen scheint dem Vorgehen des Innenministeriums insgesamt zu entsprechen. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Rechtsmagazins Legal Tribute Online (LTO), dem die unveröffentlichte Begründung des Innenministeriums für das Compact-Verbot vorliegt. So sei der Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit »eher knapp« behandelt worden. Es scheine eher so, dass das Innenminsterium daran zweifele, dass sich Compact überhaupt auf die Pressefreiheit berufen könne. Eine echte Verhältnismäßigkeitsprüfung habe das Innenministerium nicht vorgenommen. Mildere Mittel gegenüber einem Totalverbot von Compact seien gemäß dem Innenministerium »nicht ersichtlich« gewesen. Sehr knapp sei die Auseinandersetzung mit den betroffenen Rechten des Magazins aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK [Anmerkung: zu nennen wären hier insbsondere die Meinungs- und Pressefreiheit gemäß Artikel 10 EMRK]) ausgefallen.
Im Falle des Compact-Verbots ist nun der Kontext der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) relevant, die ihrerseits nur unter hohen rechtlichen Hürden einschränkbar ist. Als besondere Ausprägung der Meinungsfreiheit ist sie für die freiheitliche Demokratie „schlechthin konstituierend“ (BVerfGE 7, 198, 208) und daher nur zum Schutz überragender öffentlicher Interessen einschränkbar (…). Die Abwägung ist dabei besonders sorgfältig vorzunehmen, schützt sich hier doch die Demokratie gegen die Ausübung einer ihrer eigenen rechtlichen Grundlagen, eben der freien Kommunikation.
Prof. Dr. Christoph Gusy
Professor für Öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungsgeschichte an der Universität Bielefeld
Bundesverwaltungsgericht: Prüfung der Verhältnismäßigkeit erforderlich
Das Bundesverwaltungsgericht betont in seiner Entscheidung, dass bei einem Vereinsverbot auch die Kommunikationsgrundrechte des Artikels 5 Grundgesetz zu beachten sind: »Denn ein Vereinigungsverbot wäre mit den Anforderungen des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren, wenn es nur das Mittel wäre, Meinungsäußerungen oder Publikationen zu untersagen, die für sich genommen den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießen.« Der Schutz durch andere Grundrechte dürfe von einem Vereinigungsverbot nicht unterlaufen werden.
Dann erinnert das Bundesverwaltungsgericht an die allgemeinen Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutzbereich der Presse- und Meinungsfreiheit: »Die von der Antragsgegnerin dem Vereinsverbot zugrunde gelegten und der Antragstellerin zu 1 zugerechneten Äußerungen werden vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unabhängig davon erfasst, ob die einzelne Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird (…). Die Meinungsfreiheit genießt bei Kritik an staatlichen Institutionen hohes Gewicht, weil das Grundrecht gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet (…). Über den Inhalt einer Äußerung hinaus erstreckt sich der Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG auch auf ihre Form, so dass selbst polemische oder verletzend formulierte Äußerungen in den Schutzbereich des Grundrechts fallen (…). Insbesondere in der öffentlichen Auseinandersetzung, zumal im politischen Meinungskampf, vermittelt die Meinungs- und Pressefreiheit das Recht, auch in überspitzter Form Kritik zu äußern. Dass eine Aussage scharf und übersteigert formuliert ist, entzieht sie deshalb nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (…).«
Des Weiteren bespricht das Bundesverwaltungsgericht wie Äußerungen im Lichte der Kommunikationsgrundrecht des Grundgesetzes gemäß dem Bundesverfassungsgericht auszulegen sind: »Maßgeblich ist daher weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv hat (…). Der Wortlaut einer Äußerung legt ihren Sinn nicht abschließend fest, denn der objektive Sinn wird auch vom Kontext und den Begleitumständen einer Äußerung bestimmt, soweit diese für den Rezipienten erkennbar sind (…). Bei mehrdeutigen Äußerungen haben Behörden und Gerichte sanktionsrechtlich irrelevante Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen, bevor sie ihrer Entscheidung eine zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung zugrunde legen wollen (…). Entgegen der Annahme der Antragsgegnerin [d. h. der Bundesregierung] ist diese Interpretationsmaxime bei der Auslegung von Äußerungen auch im Rahmen der Überprüfung eines gegenüber einem Presse- und Medienunternehmen ausgesprochenen Vereinsverbots zugrunde zu legen. Denn andernfalls könnte – entgegen der verfassungsgerichtlichen Vorgaben (…) – der Schutz der Pressefreiheit durch ein Vereinigungsverbot unterlaufen werden. Deshalb ist bei mehrdeutigen Äußerungen diejenige Variante zugrunde zu legen, die noch von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt ist.«
Und dass der Senat eigens feststellen muss, dass „entgegen der Annahme der Antragsgegnerin“ diese Interpretationsmaxime auch bei der Überprüfung eines gegenüber einem Presse- und Medienunternehmen ausgesprochenen Vereinsverbotes zugrunde zu legen ist, offenbart ein besorgniserregendes Verständnis des Bundesinnenministeriums von der
Meinungsfreiheit.
Dr. Paula Rhein-Fischer
Habilitandin an der Akademie für europäischen Menschenrechtsschutz der Universität zu Köln
Letztlich begründet das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung mit seinen Zweifeln, ob angesichts der mit Blick auf die Meinungs- und Pressefreiheit in weiten Teilen nicht zu beanstandenden Beiträge die Menschenwürde verletzenden Passagen für die Ausrichtung von Compact insgesamt derart prägend sind, dass das Vereinsverbot unter Verhältnismäßigkeitspunkten gerechtfertigt ist.
Zudem zählt das Gericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsüberlegungen mögliche mildere Mittel auf, welche für das Innenministerium »nicht ersichtlich« waren:
- presse- und medienrechtliche Maßnahmen,
- Veranstaltungsverbote,
- orts- und veranstaltungsbezogene Äußerungsverbote oder
- Einschränkungen und Verbote von Versammlungen.
»In einer funktionierenden Demokratie wäre Nancy Faesers Rücktritt jetzt alternativlos.«
Die Bewertung des Vorgehens des Bundesinnenministeriums fällt teils verheerend aus.
Die Innenministerin würde die Pressefreiheit mit brachialen Mitteln angreifen. Dabei ginge es ihr um Ideologie und Machterhalt. Sie missbrauche ihr Regierungsamt und die Sicherheitsbehörden für ihren Feldzug gegen rechts. In einer funktionierenden freiheitlichen Demokratie würde ein solcher Anschlag auf die Freiheit der Presse zwingend zu einem schnellen Rücktritt führen. So der Staatsrechtler Prof. Dr. Dr. Boehme-Neßler, von dem auch das obige Zitat stammt.
Nach Dr. Rhein-Fischer habe das Bundesministerium dem Kampf gegen Rechtsextremismus mit dem Verbotsvorhaben einen Bärendienst erwiesen. Denn nun könne sich der Compact-Zirkel als erfolgreiche Kämpfer für die Pressefreiheit gerieren.
Der Staatsrechtler Prof. Dr. Christoph Degenhart findet es »begrüßenswert, dass das Bundesverwaltungsgericht hier doch die Meinungs- und Pressefreiheit ausreichend und maßgeblich gewürdigt hat“. Wenn ein Vereinsverbot wie ein Presseverbot wirke, seien jedenfalls sehr hohe Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit zu stellen. Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zeige, dass ein Verbot unverhältnismäßig ist, wenn andere Maßnahmen in Betracht kommen.
Der Staatsrechtler Prof. Dr. Gusy betont, dass sich der demokratische Rechtsstaat in der Auseinandersetzung mit den Gegnern der Verfassung beweise und bewähre. Auch dort, wo der Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zweifelsfrei festgestellt würde, seien die Voraussetzungen und Grenzen des Grundgesetzes selbst und der Gesetze zum Schutz der Verfassung einzuhalten.
Wenig kann den Verfassungsschutz stärker delegitimieren als administrative Maßnahmen, welche rechtswidrig ergehen und später von den Gerichten beanstandet werden.
Prof. Dr. Christoph Gusy
Professor für Öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungsgeschichte an der Universität Bielefeld
FAZIT
Es bleibt abzuwarten, wie das Bundesverwaltungsgericht in der Hauptsache entscheiden wird. Ein Totalverbot des Vereins im Hauptsacheverfahren ist allerdings wohl nicht zu erwarten. So sagt zum Beispiel der Staatsrechtler Prof. Dr. Degenhart: »Der Beschluss zeigt, dass ein Verbot unverhältnismäßig ist, wenn andere Maßnahmen in Betracht kommen.«
Festzuhalten ist jedoch jetzt schon, dass das Bundesinnenministerium abwägungsrelevante Grundrechte wie die Pressefreiheit und die Meinungsfreiheit sowie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht, beziehungsweise nicht hinreichend bei der Entscheidung über die Verbotsverfügung berücksichtigt hat. Prof. Dr. Degenhart fasst es so zusammen: »Ich glaube einfach, dass sich im Fall ‚Compact‘ beim Sofort-Vollzug des Verbots die besonnenen Stimmen nicht durchsetzen konnten gegenüber dem politischen Furor und dem Willen, hier mal wieder ein Zeichen ‚gegen Rechts‘ zu setzen.«